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Nicht nur der Körper, auch die Seele kann erkranken. Jeder vierte Erwachsene in Deutschland leidet unter einer psychischen Erkrankung. Unter den Kindern ist fast jedes fünfte betroffen. Ob Trauma, Angsterkrankung, Depression, Schizophrenie, Zwangs-, Ess- oder Persönlichkeitsstörung: Studien haben bewiesen, dass vielen psychisch kranken Menschen eine Psychotherapie helfen kann.

Mit welchen Symptomen sollte man einen Psychotherapeuten aufsuchen?

Ein Stimmungstief hat jeder mal. „In der Regel schafft man es, solche Situationen allein oder mit Hilfe von Familie oder Freunden zu bewältigen“, sagt Gebhard Hentschel, Bundesvorsitzender der Deutschen Psychotherapeuten-Vereinigung (DPtV). „Manchmal geht es einem psychisch aber so schlecht, dass das Leben stark beeinträchtigt wird. Dann sollte man, so wie bei körperlichen Erkrankungen auch, professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.“

Halten Ängste zum Beispiel über Wochen an oder fällt es schwer, aufgrund von Niedergeschlagenheit den Alltag zu bewältigen, kann eine ernstzunehmende psychische Erkrankung dahinterstecken. Betroffene, die sich helfen lassen möchten, können direkt mit ihrer Krankenversicherungskarte einen Psychotherapeuten oder eine Psychotherapeutin aufsuchen. „Die psychotherapeutische Sprechstunde“, sagt Diplom-Psychologe Hentschel, „ist die erste Kontaktmöglichkeit.“

Psychologin, Psychotherapeut, Psychiater: Wer macht was?

Es gibt verschiedene Berufsgruppen, die Psychotherapien anbieten dürfen. Alle haben nach ihrem Universitätsstudium eine drei- bis fünfjährige Zusatzausbildung abgeschlossen.

Psychiater: Psychiater sind Ärzte und Ärztinnen, die ein Medizin- und anschließendes Facharztstudium absolviert haben. Sie dürfen psychische Erkrankungen mit Medikamenten wie Antidepressiva behandeln, körperliche Untersuchungen vornehmen und Patienten in eine Klinik einweisen.

Fachärzte für psychosomatische Medizin und Psychotherapie: Ein Arzt, der nach dem Medizinstudium eine entsprechende Facharztausbildung absolviert hat, ist ebenfalls befugt, Psychotherapien durchzuführen. Er muss dafür kein Psychiater sein.

Psychologen: Psychologinnen und Psychologen haben Psychologie studiert, sind also keine Ärzte. Nach ihrem Studium müssen sie eine drei- bis fünfjährige Zusatzausbildung bestehen, wenn sie als Psychotherapeut arbeiten wollen. Medikamente dürfen sie nicht verordnen.

Kinder- und Jugendpsychotherapeuten: Dabei handelt es sich um Psychologinnen, Sozialpädagogen oder Pädagoginnen, die eine Psychotherapieausbildung absolviert haben, um sich auf die Behandlung von Kindern mit psychischen Erkrankungen zu spezialisieren.

Ärzte, die Psychotherapien anbieten dürfen, heißen „ärztliche Psychotherapeuten“, Psychologen „psychologische Psychotherapeuten“. Grundsätzlich ist es sinnvoll, mit psychologischen Problemen zuerst einen Arzt aufzusuchen, um eine körperliche Ursache für die Beschwerden – etwa eine Schilddrüsenerkrankung – auszuschließen.

Beim ersten Treffen wird zunächst geklärt, ob überhaupt eine psychische Erkrankung vorliegt. „Sind Patient und Psychotherapeut in der Sprechstunde übereingekommen, dass eine psychotherapeutische Behandlung stattfinden soll, muss diese bei der Krankenkasse beantragt werden“, sagt Hentschel. „Die Formulare dafür hat jeder Therapeut beziehungsweise jede Therapeutin in der Praxis.“ Bei akutem Bedarf kann auch direkt eine psychotherapeutische Akutbehandlung begonnen und der Krankenkasse angezeigt werden.

Ambulant oder stationär?

Eine Psychotherapie findet entweder in der Gruppe oder als Einzeltherapie statt. Es gibt ambulante, teilstationäre oder stationäre Psychotherapien. „Ambulant ist neuerdings auch eine Online-Behandlung per Video möglich“, heißt es bei der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Die Corona-Pandemie hat die Psychotherapie per Videoberatung vorangetrieben: Neun von zehn Psychotherapeutinnen und -therapeuten haben die Methode seit 2020 bereits eingesetzt und können sich vorstellen, Patienten auch in Zukunft regelmäßig virtuell zu betreuen.

Die meisten psychischen Erkrankungen lassen sich ambulant gut behandeln, also ohne Verbleib in einer Klinik. „Bei einer ambulanten Therapie, die in einer psychotherapeutischen Praxis stattfindet, können Patientinnen und Patienten in ihrem sozialen Umfeld bleiben und weiter ihrer beruflichen Tätigkeit nachgehen“, erklärt Hentschel. „Haben sie zum Beispiel Probleme am Arbeitsplatz, können Erfahrungen aus der Psychotherapie dort direkt ‚angewendet‘ werden.“ Es gebe jedoch Situationen, in denen ein stationärer Aufenthalt in einer Klinik sinnvoll oder unumgänglich ist, berichtet der Psychologe: „Wenn Patienten zum Beispiel nicht mehr in der Lage sind, ihren Alltag zu strukturieren, ist eine stationäre Behandlung mit intensiver Betreuung oft die richtige Wahl.“

Eine stationäre Aufnahme ist zudem bei akuten psychischen Krisen nötig oder wenn bei schweren psychischen Erkrankungen ein Wechsel des Umfelds sinnvoll erscheint. Ein Vorteil von stationären und teilstationären Behandlungen ist, dass verschiedene Behandlungsmethoden wie medikamentöse Therapie, Ergo-, Sport-, Kunst-, Musik- und Bewegungstherapien mit der Psychotherapie kombiniert werden können, so die DGPPN.

Was ist ein psychologischer Notfall?

Als Notfall gilt die krisenhafte Zuspitzung einer psychischen Erkrankung, etwa bei der Gefahr der Selbsttötung oder bei selbstverletzendem Verhalten. Auch wenn andere gefährdet sind, weil psychisch Erkrankte aggressiv werden, ist professionelle Hilfe nötig. „Psychotherapie als Notfall erfordert kurzfristiges Handeln, eine psychotherapeutische Akutversorgung oder – bei akuter Suizidalität – eine Klinikeinweisung“, sagt Gebhard Hentschel. Eine psychotherapeutische Akutversorgung könne ebenso nötig werden, so der Experte, wenn nach negativen Erlebnissen psychische Störungen drohen oder eingetreten sind, etwa „nach dem Erleben von körperlicher und sexualisierter Gewalt, Vergewaltigung, einem gewalttätigen Angriff, bedrohlichen Formen von Stalking, Entführung oder Geiselnahme, einem Terroranschlag, Natur- oder durch Menschen verursachte Katastrophen, Unfällen oder akuten und lebensbedrohenden medizinischen Erkrankungen“. Sind Patienten bereits in Kontakt mit einem Therapeuten, wird dieser ihnen Möglichkeiten der kurzfristigen Erreichbarkeit oder Anlaufstellen für den Notfall nennen.

Welche Formen der Psychotherapie gibt es?

Vier verschiedene Formen der Psychotherapie werden in Deutschland von den Krankenkassen bezahlt, sofern sie medizinisch notwendig sind:

  • Verhaltenstherapie: Basis ist die Annahme, dass jedes Verhalten erlernt ist und verändert werden kann. Patientin und Therapeut analysieren zunächst gemeinsam das Problem und dahintersteckende Verhaltensmuster. Dann wird der Patient unterstützt, positive Verhaltensweisen aufzubauen. Oft bekommt er „Hausaufgaben“, die im Alltag zu erledigen sind. Das Motto der Verhaltenstherapie lautet „Hilfe zur Selbsthilfe.“ Sie kommt zum Einsatz bei Angststörungen, Depressionen, Schizophrenie, Ess- und Zwangsstörungen, Suchterkrankungen, sexuellen Funktionsstörungen und psychosomatischen Störungen.
  • Tiefenpsychologisch fundierte Therapie: Bei dieser Form, auch „dynamische Psychotherapie“ genannt, geht man davon aus, dass die Erkrankung auf einem inneren Konflikt beruht, der durch negative Erfahrungen entstand. Diesen Konflikt gilt es dem Patienten bewusst zu machen, ohne dabei zu sehr in die Tiefe zu gehen. Therapeutin und Patient legen Teilziele fest, die es zu erreichen gilt. Die Therapie erfolgt in Form von Gesprächen im Sitzen, von Angesicht zu Angesicht. Wissenschaftlich belegt ist ihre Wirkung bei akuten Depressionen, Panikstörungen, der Borderline-Störung und Posttraumatischer Belastungsstörung.
  • Psychoanalytische Therapie: Diese Langzeittherapie ist auf zwei bis drei Jahre ausgelegt. Sie geht davon aus, dass persönliche Erfahrungen und Konflikte in der Vergangenheit die psychische Erkrankung mitverursacht haben oder aufrecht erhalten. Und dass Lebenserfahrungen die Grundeinstellung zu sich selbst und anderen beeinflussen – und damit Muster prägen, die unbewusst das Fühlen, Denken und Handeln beeinflussen. Ziel der Therapie ist, sich dieser unbewussten Prozesse bewusst zu werden. Der Patient liegt auf der Couch und beschreibt ohne Blickkontakt zum Therapeuten, was ihm durch den Kopf geht. Der Therapeut hört zu und urteilt nicht, greift wenig ein. Die Psychoanalyse kommt zum Einsatz, wenn eine psychische Erkrankung schon lange besteht – oder bei Depressionen, Angststörungen, Zwangs- und Persönlichkeitsstörungen, psychosomatischen Erkrankungen und Anpassungsstörungen.
  • Systemische Therapie: Diese Therapieform ergänzt das Portfolio für Erwachsene seit Juli 2020 und ist vergleichsweise kostengünstig, weil sie oft mit wenigen Sitzungen in längeren Abständen funktioniert. Auch in der Behandlung von Kindern und Jugendliche kann die systemische Therapie künftig als Kassenleistung zum Einsatz kommen. Das hat der Gemeinsame Bundesausschuss im Januar 2024 entschieden.
    Im Mittelpunkt der systemischen Therapie stehen die Beziehungen der Patientin und wie sie an der Entstehung und Aufrechterhaltung der psychischen Probleme beteiligt sind. Das Motto: „Eine gestörte Psyche ist Ausdruck eines gestörten Systems.“ Die bekannteste Methode ist die Familienaufstellung. Die systemische Therapie hat sich bei Kindern und Jugendlichen mit Störungen des Sozialverhaltens, Drogenkonsumstörungen, Ess- und Anpassungsstörungen bewährt. Bei Erwachsenen kommt sie vor allem bei Depressionen, Substanz- und Essstörungen, Schizophrenie und psychosomatischen Erkrankungen zum Einsatz.

Welche Psychotherapie die beste ist, hängt von der Erkrankung, der Lebenssituation und persönlichen Vorlieben des Menschen ab. Patient und Therapeut entscheiden sich gemeinsam für eine Therapieform. Hentschel von der DPtV erklärt das Prozedere so: „In maximal sechs Sprechstunde-Sitzungen, die je 25 Minuten dauern, finden eine differentialdiagnostische Abklärung und eine Indikationsstellung unter Einbeziehung möglicher somatischer Befunde statt. Mit diesem Ergebnis beraten Patient und Therapeutin, welche unterstützenden Maßnahmen sinnvoll sind, und entscheiden das weitere Vorgehen.“

Wer übernimmt die Kosten?

Weil die Wirkung der genannten vier Formen der Psychotherapie wissenschaftlich belegt ist, übernehmen die Krankenkassen die Kosten für die Behandlung. Patientinnen und Patienten müssen zum ersten Termin und dann in jedem neuen Quartal ihre Versichertenkarte mitbringen – wie bei Arztbesuchen. Wer privat versichert ist, sollte vor Beginn der Therapie mit seiner Kasse klären, ob und in welcher Höhe diese die Kosten übernimmt.

Wie finden Patienten einen Therapieplatz?

Menschen mit psychischen Problemen können direkt und ohne Überweisung von einer Hausärztin einen Psychotherapeuten aufsuchen und das weitere Vorgehen mit ihm besprechen. Approbierte psychologische Psychotherapeutinnen sowie Kinder- und Jugendpsychotherapeuten finden sich zum Beispiel im Internet unter www.dptv.de/suche.

Die Wartezeit auf einen Therapieplatz wird nicht objektiv erfasst, doch oft müssen Patientinnen und Patienten viel Geduld aufbringen, bis ihre Psychotherapie beginnen kann. Umfragen unter Psychotherapeuten lassen vermuten, dass die Wartezeit durchschnittlich vier bis sechs Monate beträgt. Das ist aber von Region zu Region unterschiedlich.

Ganz ausführlich erklären wir hier, wie man an einen Therapieplatz kommt:

Wie lange dauert eine Psychotherapie?

Eine Akutbehandlung in dringenden Fällen besteht aus zwölf Sitzungen und kann danach in eine Psychotherapie überführt werden. Diese dauert je nach Erkrankung deutlich länger. Die Dauer der Therapie hängt auch davon ab, welche Form zum Einsatz kommt und wie lange die Erkrankung schon besteht: „Eine Kurzzeittherapie umfasst bis zu zweimal zwölf Sitzungen. Eine Langzeittherapie kann je nach Therapieverfahren zwischen maximal 48 Stunden in der Systemischen Therapie und 300 Stunden in der analytischen Psychotherapie dauern“, erklärt Hentschel. Die maximale Dauer im Einzelnen:

  • Systemische Therapie: 48 Stunden
  • Psychoanalytische Therapie: 300 Stunden
  • Tiefenpsychologisch fundierte Therapie: 120 Stunden
  • Verhaltenstherapie: 80 Stunden

Eine Einzelsitzung oder „Stunde“ dauert in der Regel 50 Minuten, eine Gruppensitzung doppelt so lange. Manche Menschen gehen bis zu dreimal pro Woche zur Therapie, bei anderen reicht ein Termin alle drei Wochen.

Was, wenn es zwischen Patientin und Therapeut nicht passt?

Studien konnten zeigen, dass die Beziehung zwischen Therapeutin und Patient entscheidend ist für den Erfolg der Psychotherapie. Deshalb stehen am Anfang jeder ambulanten Behandlung zwei und bis vier 50-minütige „Probesitzungen“, bevor die eigentliche Psychotherapie beginnt. „Diese Sitzungen sind speziell dafür vorgesehen, das gewählte Therapieverfahren vorzustellen und auszuprobieren“, sagt Diplom-Psychologe Hentschel. „Gleichzeitig sind sie wichtig, um zu klären, ob die Chemie zwischen Patient und Therapeut stimmt.“

Patienten sollten möglichst früh kommunizieren, wenn sie sich nicht wohlfühlen oder ihre Entscheidung überdenken möchten. „Auch wenn sich erst im Laufe der Therapie eine Unzufriedenheit einstellt, sollte man mit der Psychotherapeutin oder dem Psychotherapeuten dazu ins Gespräch kommen“, sagt Hentschel. Ein Abbruch der Therapie ist jederzeit möglich. Fühlt sich der Patient im Therapieverlauf missverstanden, entspricht die Therapie nicht den Erwartungen oder bleibt der gewünschte Erfolg aus, kann er den Behandler wechseln. Auch dabei kann der Psychotherapeut ihn unterstützen.